Before We Forget: Eine Matroschka der Erinnerungen

Juan Pablo Di Paces Regiedebüt „Before We Forget“ (Originaltitel: „Duino“), das er gemeinsam mit Andrés Pepe Estrada (Editor des Oscar-nominierten „Argentina, 1985“) inszenierte, ist eine filmische Reise durch die Labyrinthe der Erinnerung, des Verlangens und der Zeit. Der Film, inspiriert von Di Paces eigenen Jugenderinnerungen, entfaltet sich wie eine russische Matroschka-Puppe, bei der jede Schicht eine neue Ebene der Vergangenheit und Gegenwart enthüllt.

Di Pace spielt selbst die Hauptrolle des Matías, eines argentinischen Filmemachers, der kurz vor dem Abschluss eines sehr persönlichen Filmprojekts steht. Dieses Werk ist inspiriert von seiner ersten, unvergessenen Liebe zu seinem schwedischen Schulfreund Alexander. Gleich zu Beginn sehen wir Matías am Set, wie er mit seinem Produzenten Paulo (Juan Cruz Márquez de la Serna) darum ringt, eine letzte, entscheidende Szene zu drehen: eine zärtliche Berührung zwischen den jungen Protagonisten, die in der Realität nie stattgefunden hat. Doch die Zeit ist abgelaufen, die Szene bleibt ungedreht und Matías muss den Film ohne sie fertigstellen.

Diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wird auf drei verschiedenen Ebenen visualisiert: Es gibt klassische Rückblenden in die 90er-Jahre, die den jungen Matías (Santiago Madrussan) und den jungen Alexander (Tomás Kirzner) zeigen. Dann gibt es kurze Einblicke in den Film-im-Film, den der erwachsene Matías schneidet. Und schließlich sind da die alten Heimvideos, die Paulo während eines Besuchs in der Schule vor 23 Jahren gedreht hat. Diese Aufnahmen besitzen eine „reale“ Qualität, die den nachgestellten Erinnerungen fehlt und Matías zwingt, die Vergangenheit mit neuen Augen zu sehen.

Die Geschichte führt uns zurück an das United World College of the Adriatic in Italien. Der schüchterne Matías wird von den extrovertierten Mitschülern fast überrannt, bis er bei einer Talentshow widerwillig einen Tango tanzt und damit alle beeindruckt. Danach tritt der gutaussehende und charmante schwedische Student Alexander (Oscar Morgan) in sein Leben, nennt ihn „Fred Astaire“ und erklärt: „Ich muss dein Freund sein.“ In der Tradition von „Brideshead Revisited“ entwickelt sich eine intensive, fast magische Freundschaft. Matías ist fasziniert von dem reichen, witzigen und impulsiven Alexander, kann seine eigenen aufkeimenden romantischen Gefühle aber kaum einordnen – und noch weniger, ob Alexander sie erwidert.

Die Idylle zerbricht, als Alexander nach einem dummen Streich von der Schule verwiesen wird. Er lädt Matías ein, Weihnachten bei seiner Familie in Schweden zu verbringen. Dort wird die Verwirrung nur noch größer: Alexanders schöne Schwester Katherine (Julia Bender) ist in Matías verliebt, während Alexander selbst sich distanziert verhält. Ist es Eifersucht oder die Angst vor seinem bevorstehenden Militärdienst?

In der Gegenwart erhält Matías, über 20 Jahre später, eine Einladung zu Katherines (Krista Kosonen) Hochzeit. Dort, so wird ihm versprochen, wird er auch Alexander wiedersehen. Diese Einladung, gedruckt auf demselben Briefpapier wie die von damals, zwingt Matías zur Konfrontation mit den Geistern seiner Jugend.

Juan Pablo Di Pace verkörpert den erwachsenen Matías mit einer ansprechenden, natürlichen Wärme und einem feinen Humor, der die innere Zerrissenheit der Figur greifbar macht. Oscar Morgan glänzt als der junge, impulsive Alexander, dessen Verletzlichkeit für den Zuschauer deutlicher ist als für seine damaligen Freunde. Die Regisseure Di Pace und Estrada treffen zudem evokative stilistische Entscheidungen, die mehr auf Stimmung als auf eine lineare Handlung setzen. Details wie die fast identischen Lieferwagen in Vergangenheit und Gegenwart oder das unveränderte Haus der Familie unterstreichen, wie die Wahrnehmung der Gegenwart die Erinnerungen an die Vergangenheit färbt und den Unterschied zwischen akkurater Wiedergabe und emotionaler Wahrheit betont.

Ein starker Kontrast zu Matías’ verwirrenden Beziehungen zu Alexander und Paulo ist die tiefe, unterstützende Verbindung zu seinen Eltern (Araceli González und Fabián Mazzei). Eine Szene, in der er sich ihnen nach dem Weihnachtsbesuch anvertraut, zeigt eine emotionale Sicherheit, die in seinem restlichen Leben fehlt.

Gegen Ende nimmt der Film an Tempo auf und wirkt dadurch etwas gehetzt, fast so, als ob Matías selbst unter Festivaldruck seinen eigenen Film fertigstellen müsste. Doch der Film findet zu einem Moment der Gnade, der Erinnerung und Verständnis vereint: Er erschafft jenen Augenblick – die Berührung des Gesichts –, den Matías in seinem eigenen Film nicht festhalten konnte, und verleiht so der unvollendeten Vergangenheit einen heilsamen Abschluss. Produziert wurde dieses intime Werk unter anderem von der verstorbenen TV-Legende Norman Lear.