Filmkritik zu „Diamant Brut“: Die ungeschliffene Realität des Influencer-Traums

„Diamant Brut“ (internationaler Titel: „Wild Diamond“), das eindringliche Spielfilmdebüt der französischen Regisseurin Agathe Riedinger, das 2024 im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes Premiere feierte, ist ein Film von extremer Intimität. Er wirft einen ungeschönten Blick auf die Träume und die verzweifelte Sehnsucht einer jungen Frau, die in der schillernden, aber oft leeren Welt der sozialen Medien und des Reality-TVs nach Anerkennung sucht.

Wenn die 19-jährige Liane (gespielt von der Newcomerin Malou Khebizi) erklärt, sie wolle die „französische Kim Kardashian“ werden, könnte man sie leicht als realitätsfern abtun. Doch ihr Leben in einer tristen Sozialbausiedlung in Fréjus, umgeben von Betonwüsten und ausgetrockneten Kanälen, bietet kaum eine Startrampe für den Erfolg – weder als Influencerin noch in irgendeinem anderen Bereich. Ihre Mutter (Andréa Bescond) wechselt zwischen dem Bett und verschiedenen „Sugar Daddies“, während ihre jüngere Schwester Alicia (Ashley Romano) dringend Fürsorge benötigt. Liane ist besessen von dem Wunsch, diesen Umständen zu entfliehen und eine magische Welt zu betreten, in der sie endlich „gesehen“ wird. Es ist mehr als ein Ziel; es ist eine Obsession, die ihr Leben im Hier und Jetzt fast unerträglich macht.

Der Film verlässt Liane nie. Andere Menschen sind für sie kaum real, obwohl sie ihre Schwester und ihre Freunde liebt und sogar in einen Jungen (Idir Azougli) verknallt ist. Doch die Verlockung der Welt, die sie durch ihr Smartphone erreicht – eine Welt, in der sie gesehen und geliebt werden will –, ist übermächtig. Sie hat sich die Brüste vergrößern und Hyaluronsäure in die Lippen spritzen lassen und träumt von einem „Brazilian Butt Lift“. Als sie einem Casting-Agenten ein Bewerbungsvideo für die Reality-Show „Miracle Island“ schickt, ist sie überzeugt: Das ist ihre Eintrittskarte in ein besseres Leben. Die Kamera von Noé Bach fängt Lianes Welt in schwindelerregenden, traumartigen Bildern ein und vermittelt einen fast dissoziativen Zustand, in dem ihre Fantasien greifbarer erscheinen als die Realität selbst. Eine Szene in einem Nachtclub, in der Liane wie gebannt eine Tänzerin auf einem Podest anstarrt, deren Schönheit und Macht sie völlig in den Bann ziehen, versetzt den Zuschauer direkt in Lianes Kopf.

Der Einfluss der „Influencer-Kultur“ auf verletzliche junge Menschen ist ein fruchtbarer Boden für Geschichten. Doch während Filme wie „Ingrid Goes West“ das Thema in eine düster-satirische Richtung lenken, ist „Diamant Brut“ taktiler, körperlicher. Lianes Sehnsucht erinnert an Figuren, die es schon lange vor den sozialen Medien gab. Ihr unbedingter Wille, wahrgenommen zu werden, um die eigene Existenz zu spüren, weckt Assoziationen zu Rupert Pupkin in „King of Comedy“ oder zur tragischen Sara Goldfarb in „Requiem for a Dream“, deren Traum von einem Fernsehauftritt in den Wahnsinn abdriftet. Lianes Zustand ist nicht ganz so düster, aber ihre Suche hat etwas Freudloses, Zerbrechliches.

Obwohl der Film durch seine visuelle Intensität und Khebizi’s fesselnde Darstellung über weite Strecken ohne einen straffen Plot auskommt, hätte eine etwas klarere Struktur ihm gutgetan. Auch der angedeutete religiöse Aspekt in Lianes Psychologie – sie spricht zu ihren Followern in fanatisch-religiöser Sprache („Ich wandle mit dem Herrn. Ich bin eine Soldatin. Wir werden uns rächen!“) – bleibt eine faszinierende, aber leider unzureichend erforschte Facette. Die Art und Weise, wie sie gestohlene Strasssteine auf ihre billigen Plateauschuhe klebt, hat eine fast sakrale, rituelle Qualität – eine Geste, die das Gewöhnliche in etwas Magisches verwandeln soll.

Diese Steine mögen billig sein, aber für Liane sind sie die „Substanz der erhofften Dinge“. Man kann dies als tragisch oder hoffnungsvoll betrachten. Die große Stärke von Agathe Riedingers Debüt, dessen Hauptfigur bereits in ihrem Kurzfilm „J’attends Jupiter“ (2017) auftauchte, liegt darin, dass es seine Protagonistin nie verurteilt oder von oben herab betrachtet. „Diamant Brut“ ist ein visuell beeindruckendes und zutiefst menschliches Porträt, das uns zwingt, hinter die perfektionierten Fassaden der sozialen Medien zu blicken und die ungeschliffene, verletzliche Realität dahinter zu erkennen. Ein Film, der nachwirkt und für seine Hauptfigur bangen lässt.