Die Mordfälle in Moscow, Idaho, am 13. November 2022 erregten weltweite Aufmerksamkeit, weil sie auf sinnlose Weise das Gefühl von Sicherheit zerstörten. Die Dokuserie „One Night in Idaho: The College Murders“ von Regisseurin Liz Garbus auf Paramount+ nähert sich dieser bereits ausführlich behandelten Geschichte aus einem Blickwinkel, der es der talentierten Filmemacherin ermöglicht, die schwierigen Gewässer des True-Crime-Genres zu navigieren: Sie konzentriert sich auf die Menschen, die zurückgelassen wurden.
**Der Fokus liegt auf den Opfern**
In Werken wie „Lost Girls“ und dem herausragenden „I’ll Be Gone in the Dark“ hat Garbus stets die bleibenden Kosten eines Verbrechens anstelle der reißerischen Details betont. Diesem Prinzip bleibt sie treu. In den ersten beiden Stunden der vierteiligen Serie „One Night in Idaho“ hört man nicht einmal den Namen des Mannes, der für diese schrecklichen Taten verantwortlich ist. Garbus und Co-Regisseur Matthew Galkin stellen die Opfer – Maddie Mogen, Kaylee Goncalves, Xana Kernodle und Ethan Chapin – und vor allem diejenigen, die sie liebten, in den Mittelpunkt.
Mithilfe von fast ausschließlich Interviews mit Freunden und Familienmitgliedern der Opfer zeichnet die Serie die Beziehungen innerhalb des Hauses in der King Road 1122 in jener schicksalhaften Nacht nach. Dabei wird deutlich, wie sehr das Leben junger Menschen heute online und durch digitale Fotos dokumentiert ist. Wir sehen Hunderte von Aufnahmen von Maddie, Kaylee, Xana und Ethan, die sie durch ihre lächelnden Gesichter und die warmen Geschichten ihrer Liebsten dreidimensional und lebendig wirken lassen. Man spürt, dass dieses Hintergrundmaterial mit einem einfühlsamen, liebevollen Ansatz behandelt wird und nicht, wie so oft in diesem Genre, als schnelles und ausbeuterisches Mittel, um zu den grausamen Details zu gelangen. Man merkt, dass die Menschen, die den Opfern am nächsten standen, Garbus und Galkin vertrauten, und dieses Vertrauen ist das Fundament, auf dem der Erfolg der Serie ruht.
**Die Ermittlungen und die Rolle der sozialen Medien**
Natürlich muss sich „One Night in Idaho“ auch den Ermittlungen widmen, aber die Regisseure verweilen nicht bei den Details der Tat. Es gibt keine Fotos vom Tatort oder eine übertriebene Analyse der Verbrechen. Der mittlere Teil der Serie befasst sich auf interessante Weise mit der Rolle der sozialen Medien in dem Fall, einschließlich der Entstehung von Online-Gruppen, die versuchten, den Fall zu lösen, oft begleitet von irrationalen Verschwörungstheorien. Die Enthüllung, dass der Mörder wahrscheinlich in einer dieser Gruppen mit anderen interagierte, ist erschreckend, doch auch hier vermeiden es Garbus und Galkin, manipulativ zu wirken, indem sie nie weit von den Opfern und ihren Angehörigen abweichen.
**Ein Fall, der nun abgeschlossen ist**
Kürzlich wurde der Fall juristisch abgeschlossen, was der Serie eine zusätzliche Ebene der Endgültigkeit verleiht: Der Mörder, Bryan Kohberger, bekannte sich schuldig und wurde zu vier aufeinanderfolgenden lebenslangen Haftstrafen ohne die Möglichkeit auf Bewährung verurteilt, wodurch er der Todesstrafe entging. Die Serie versucht nicht, einfache Antworten auf die Frage zu geben, was in Kohbergers Kopf vorging. Kommilitonen beschreiben einen seltsamen Fragebogen, den Kohberger in seinem Kriminologieprogramm erstellte, und seine Besessenheit von einem bestimmten Massenmörder, aber die Serie verliert sich nicht in Spekulationen.
**Kritik und Fazit**
Das einzige wirkliche Problem bei „One Night in Idaho“ ist ein häufiges im Streaming-Zeitalter: Man wird den Gedanken nicht los, dass es eine noch stärkere Version gäbe, die die Länge eines Spielfilms hat, anstatt vier einstündiger Episoden. Dennoch verlässt man eine Serie über einen Fall, den man zu kennen glaubte, mit einem viel stärkeren Gefühl dafür, wer Xana, Maddie, Ethan und Kaylee als Menschen waren. Und das ist wichtig. Wenn das True-Crime-Genre das Stigma der Ausbeutung, das es so oft kreativ entgleisen lässt, vermeiden will, muss es den Fokus vom Täter auf das Opfer verlagern. „One Night in Idaho“ ist ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung.